Löst man das Nachdenken über Dummheit historisch auf, wird ihre Vielgestaltigkeit in Abhängigkeit von gesellschaftlich-geistigen Entwicklungen der Menschen deutlich. Vielgestaltigkeit drückt sich in den ungezählten Synonymen des Wortes Dummheit aus und in deren vielfältigen Bedeutungsnuancen. Dummheit gibt es nicht als überhistorische Eindeutigkeit, und eine solche zu behaupten oder auch nur zu suchen, wäre selber dumm. Wohl aber haben die Menschen zu allen Zeiten sich mit ihr auseinandergesetzt. Als ein Anderes der Vernunft hat sie ihnen keine Ruhe gelassen. Überall wo Vernunft aus dem Chaos auftaucht und ihre Ordnungen schafft, bleibt sie verunsichert durch das, was außerhalb dieser Ordnungen steht, und in das das eroberte Terrain stets wieder zurücksinken kann, wenn es sich als unvollständig, schwach oder trügerisch erweist. Dummheit spottet jeder Beschreibung. Abgrenzungen werden von eigentümlichen Legierungen wie Dummschlauheit und intelligenter Dummheit überspielt. “Es gibt so viele verschiedene Arten von Dummheit, und die Gescheitheit ist nicht die beste davon”, sagt Hans Castorp zu Settembrini im “Zauberberg”. Sich-dumm-stellen kann eine Überlebensstrategie, vielleicht sogar eine wissenschaftliche Haltung, vielleicht auch nur eine geistige Selbst-Immunisierung und Kommunikations-Verweigerung sein. Dummheit hat künstlerische Kreativität ebenso freigesetzt wie verhindert. Gelegentlich, wenn Vernunft sich nicht zu entfalten vermag, oder wenn sie sich gleichsam zur Last fällt, oder auch nur, wenn ihr langweilig vor sich selbst wird, flüchtet sie – temporär – in das, dem sie entkommen will – das eröffnet dann ein weites Feld zwischen sinnfreiem Blödeln und poetischem Unsinn. Die immer wieder aufs Neue aufbrechenden Irritationen über die Dummheit haben die mannigfaltigen Versuche motiviert, der Bestimmung ihrer Gestalt und ihrer proteushaften Verwandlungen näher zu kommen. Daß dies nicht ohne Streit abgeht, versteht sich, Dummheit ist auch ein Kampfbegriff: „Imbéciles: Ceux qui ne pensent pas comme vous“, definiert Flaubert im “Dictionnaire des idées recues”. Eine Geschichte des Nachdenkens über Dummheit von seinen mythischen Anfängen bis in die Gegenwart ist im Oktober 2015 im Reclam Verlag erschienen: “Dummheit. Eine unendliche Geschichte.”